#1054 Finnland - Kuopio, der schlimmste Tag der Reise

19.11.2024 Zahnarzt in Finnland - was das bloß gibt?

Schönen guten Morgen, 

6 Uhr...nach beschissener Nacht aufgrund meiner Zahnprobleme unten rechts, letzter Backenzahn vor Weisheitszahn, bin ich früh wach.

Heute, 14:30 Uhr, Zahnarzttermin. Einerseits bin ich froh, hab ich mich durchgerungen den Termin zu machen, andererseits hab ich echt Bammel davor. Ich war noch nicht oft beim Zahnarzt, hab zum Glück super Zähne und pflege sie eigentlich ganz gut. In meinem Leben vielleicht drei kleine Löcher gehabt, das wars.

Ah, nee...einmal wurde mir ein Zahn gezogen, als Kind, das war ein Horror. Ich höre die Knackgeräusche heute noch. Früher hatte ich sogar in langen Abständen Albträume davon, dass meine Weisheitszähne raus müssten. 

Ja, und nun hab ich seit rund 1,5 Wochen Probleme mit besagtem Backenzahn. Wenn nix dran kommt, tat er bisher  nicht weh. Sobald jedoch etwas dran kommt, oder zwischen ihn und sein oberes Pendant, könnte ich vor Schmerz in Ohnmacht fallen. Diverse male wurde mir in den letzten 1,5 Woche, wenn dies passierte, schlecht beim Essen, ich musste aufhöre, mich hinlegen und warten, bis sich der Schmerz legte. Es war...keine schöne Zeit. 

Ja, ich hab darüber nicht groß geschrieben und im Video berichtet, ich wollte es einfach wegignorieren. Doch gestern bin ich vernünftig geworden. 4 Wochen, so lange geht der Trip noch, halte ich das nicht durch. Ich brauche Hilfe. Somit gestern Zahnarzttermin bei eSmile in Kuopio, Finnland, gemacht. 

Um 7 Uhr lege ich mich nochmal hin, schlafe wieder ein bis 9:30 Uhr. Wache auf, fühle mich nicht gut. Aber hilft ja nix, aufstehen, Tee und dann ne Dusche im Van. Raumbad macht weiter Laune. 

Danach erstmal in die Dinette setzen und ein wenig arbeiten. Doch wirklich produktiv bin ich nicht. Der Termin spukt mir im Kopf rum. Was wenn es was größeres ist als ein Loch. Wurzelbehandlung? Entzündung? Schwarzes Loch? Keine Ahnung....

Zwei Tostscheiben finden noch den Weg in mich, mit Käse, mehr geht nicht. Kein Hunger, Zahnschmerzen, ich bin echt durch. 

Um mich etwas abzulenken, gehe ich ne Runde vor die Tür, laufe ein Stück durch den Wald, das beruhigt etwas. 30 Minuten später bin ich zurück, finde den Co-Pilot in der Dinette vor, der besorgt schaut.

Was ist los mein großer Weis(s)er?

Er macht sich sorgen. Allerdings weniger um mich, als mehr um wie es weiter geht, falls ich den Termin nicht so richtig überlebe heute. Wer kümmert sich dann um ihn und Frieder und Flauschy? Wer kocht? Wer fährt? Wer trägt sie hin und her?

Oh man...ja...willkommen (mal wieder) in meinem Leben. Hier regiert der Wahnsinn...und der Co-Pilot. Ich versuche ihn zu beruhigen, mache ihm Hoffnung, dass ich es vermutlich irgendwie überleben werde. Am Ende ist er deutlich zuversichtlicher, dass sein Leben weitergeht. 

Um 13:30 Uhr starte ich den Motor, setze zurück, komme gut von unserem leicht verschneiten Parkplatz weg und auch wieder hoch an die Straße. Doch wir sind viel zu früh, zu fahren ja auch nur 3 km. So stoppe ich noch...äh ja...evlt. jetzt etwas makaber, aber er kommt halt da rechts am Straßenrand....beim Friedhof. 

Ich hoffe dort auf kostenfreies, kurzes Parken und einen Mülleimer. Ersteres geht klar, 3 h dürfen wir hier mit Parkscheibe...verdammt...haben wir ja keine...egal. Mülleimer, direkt am Eingang jedoch keiner zu sehen. 

Da ich noch Zeit habe, schlendere ich ne Runde über den Friedhof und schaue mich um. Schön hier, hohe Bäume, Ruhe, alte Gräber. Ich könnte mir ja hier schon mal einen Platz....CO-PILOT...GEH AUS MEINEM KOPF....!

20 Minuten später bin ich am Van zurück, Mülltonnen gefunden, aber alle tiefer im Friedhof drin, soweit will ich mit meiner Mülltüte nicht übers Gelände laufen. 

Nun auch Zeit, abzufahren. 1,5 km noch bis zum Zahnarzt. Als wir dort ankommen, ist DIREKT vor der Praxis ein Parkplatz frei. Perfekt! Ich starte Easy Park und verlasse um 14:15 Uhr den Van, betrete 5 m später die Praxis. Keiner da...ich setze mich und warte ne Minute. Dann kommt ein Mann, empfängt mich super freundlich auf Finnisch...äh...English möglich?

Japp, no Problem, perfektes Englisch schlägt mir entgegen. Super nett, freundlich, entspannt, sympathisch...gibt gleich ein sehr gutes Gefühl. Ich muss noch ein Formular ausfüllen, kläre nochmal, dass ich keine Versicherung habe und per Kreditkarte zahlen möchte. 

Japp, kein Problem. Machen wir so. 

Um Punkt 14:30 Uhr, nachdem ich noch ein paar YouTube Kommentare beantwortet habe, öffnet sich die Tür des Behandlungsraum und ich werde wiederum seeehr freundlich vom Zahnarzt begrüsst. Wow....sofort ein gutes Gefühl. 

Jo, und dann gehts los. Hinsetzten, kurz erklären wo das Problem ist und was passiert ist. Dann schaut er sich die Sache live an und kommentiert dabei auf Englisch. Was ich höre, sind keine guten Neuigkeiten. Längsriss des Zahnes! Ich halte wohl ziemlich lang die Luft an...der Zahnarzt meint irgendwann, ich könne ruhig weiter atmen. Ich gehorche. 

Die Frage ist: wie tief und weit geht der Riss? Bis durch? Kurz drückt er auf den Zahn und ich gehe schier durch die Decke vor Schmerz. Er entschuldigt sich sofort und macht als nächstes ein Röntgenbild. Ich versuche mich zu sammeln und hoffe, das der Schmerz sich legt. 

Auf dem Röntgenbild ist der Riss nicht zu sehen weil er nicht quer durch den Zahn geht  sondern längs. Doch ich erinnere mich an meinen Schweizer Zahnarzt. Der hatte vor 15 Jahren mal einen Riss im Zahn angesprochen und diesen damals oberflächlich versiegelt, so dass nichts reinkommen konnte. Und ich erinnere mich nun auch wieder, dass er damals sagte: wenn das nicht hält, müsse der Zahn wohl irgendwann raus! Als mir das wieder einfällt, wird mir anders. Haben wir jetzt IRGENDWANN?

Mein finnischer Zahnarzt sagt nun ähnliches. Er will herausfinden, wie weit der Riss geht und wie es im Zahn aussieht. Dafür will er das gesprungene Teil abnehmen.

Doch bevor es los geht, erstmal Betäubung. Und zwar ordentlich. Ich sag ihm noch, lieber zu viel als zu wenig, er ist da meiner Meinung. Er spritzt mehrfach, aber so gut, dass ich fast nichts spüre. Immer wieder fragt er, ob alles okay ist, über die gesamte Behandlung später ebenfalls. Ob ich noch könne, ob ich ne Pause brauche, usw. Echt umsichtig und geduldig.

Nach den ersten Spritzen checkt er, ob ich noch was spüre...japp...ein wenig spüre ich noch...also nochmal spritzen, warten...ja...jetzt ist da alles taub. Kann los gehen. 

Als erstes lockert er das Stück Zahn, dass durch den Riss abgetrennt wurde. Bekommt es problemlos weg, zeigt es mir, es ist riesig. Nicht ein kleiner Teil, sondern lang und groß. Ich mache große Augen. Er sagt noch etwas von Infektion...mir wird immer mulmiger zu Mute. Dann kommen seine Supergau-Worte: der Zahn muss raus! 

Ein Wunder, dass ich nicht in Ohnmacht falle. Vermutlich, weil ich eh schon recht flach liege. Oh fuck....viel schlimmer hätte es wohl nicht kommen können!?

Er ist sich  jedoch nicht sicher, ob er ihn ohne weiters raus bekommt. Könnte auch sein, dass es eine richtige OP braucht. Dies wäre dann aber nicht heute möglich. Mir wird immer schlimmer zu Mute...gut kann ich nicht weglaufen oder mich in Luft auflösen...oder tot umfallen. Sonst könnte das jetzt wohl passieren. 

Selbst als ich das jetzt hier einen Tag später runter tippe, bekomme ich ein flaues Gefühl und einen halben Schweissausbruch. 

Wir einigen uns darauf, dass er probiert, den Zahn zu ziehen. Erstmal noch etwas mehr Betäubung in den Kiefer, dann geht es los. 

Mehrfaches aufbohren des Zahns, ich warte immer darauf, dass irgendwann ein Schmerzensstoß durch meinen Kiefer geht. Doch nichts. Ich spüre absolut nichts! Mit der Zeit traue ich der Betäubung etwas mehr und entspanne mich ein gaaanz klein wenig. Sagen wir so, wenn der Anspannungsfaktor vorher 100% war, dann gehe ich auf 95% runter. Ich glaube, ich vergesse manchmal sogar zu Atmen. 

Der Zahnarzt werkelt in meine Mund, immer wenn die große Zahnziehzange vor meinen Augen entlang wandert und er danach am Zahn wackelt, bewege ich mich gedanklich in eine verschneite Berglandschaft. Ich muss hier weg....

Die Zahnarzthelferin saugt ab und reicht an. Ich starre an die Decke und stelle fest, dass die komischen Luftauslässe an der Belüftung haben. Ja, was einem so durch den Kopf geht, wenn man auf der Folterbank liegt. Doch immerhin, weiterhin kein Schmerz. Ich spüre nichts.

Der Arzt hat irgendwann ein Stück Zahn, dann die erste Wurzel draußen. Nicht abgebrochen, in eins raus. Problemlos. Danach nochmal bohren, das Geräusch nehm ich irgendwie nur noch in der Ferne wahr...irgendwann ist auch die zweite Wurzel raus der Zahn Geschichte. Mit betäubter rechter Seite frage ich verwirrt und lallend: Ist der Zahn komplett raus? 

Japp, meint er ist raus. Ich kann es nicht fassen. Ich hab das echt überlebt...bis hier hin. Hab nichts gespürt. Spüre auch jetzt nichts. Die Zahnarzthelferin zeigt mir die einzelnen Fragmente, ich filme sie schnell mit dem Handy. Es ist 15:05 Uhr. 35 Minuten Arbeit für den Zahnarzt und seine Helferin. Und ich hab einen Zahn weniger. Alter Schwede...gut wusste ich das nicht vorher. Gut halt alles geklappt. Eine Zahn-OP hier und jetzt auf dem Trip, wäre der Horror gewesen. Ich bin geschafft und froh, dass der KaiWINplus nur 8 m von mir weg steht. Die Heimat ist nahe. 

Nachdem nun alles vorbei ist,  kommen wir noch ein wenig ins Gespräch, ich rede wie ein Besoffener, hab Gaze auf der Wunde im Mund und die ganze rechte Seite fühlt sich tot an, genäht wurde übrigens nicht. Ich erzähle ihm von meiner Arbeit als YouTuber, er notiert sich gleich den Kanalnamen, dann erhalte ich noch ein paar weitere Infos. Ich darf heute nicht in die Saune, soll nicht schwer tragen oder arbeiten und darf 2 h nix essen. Ein eRezept wird noch ausgestellt für Schmerzmittel und zur Sicherheit ein Antibiotikum. Falls sich was entzündet und ich irgendwo ab vom Schuss bin und kein Zahnarzt in der Nähe. 

Und mit all diesen Infos verabschieden wir uns, ich bedanke mich für die top Hilfe und Arbeit. Am Empfang wartet das nette Mädel von gestern. Ich darf ja noch zahlen. Ich rechne mit einem Betrag jenseits der 500 Euro. Doch ist mir das in der Sekunde alles egal. Ich bin einfach nur froh, hab ich es hinter mir. Die Rechnung lautet dann auch nur knapp 252 Euro. Gefühlt ein Schnäppchen für die top geleistete Arbeit.

Ich zahle schnell mit der Kreditkarte, sage nochmals Danke und verabschiede mich. Kurz darauf stehe ich vor der Tür und bin ich im Van. Ziemlich geschafft aber froh, es hinter mir zu haben. Jetzt noch schnell zur Apotheke und das eRezept einlösen. 

Gut kenn ich mich hier schon aus, war ja gestern schon in der Stadt unterwegs. Am Marktplatz gibts Apotheken, den Weg finde ich sogar ohne Google Maps und stehe 5 Minuten später davor. Gehe rein, ziehe ne Nummer, warte 10 Minuten und komme dran. 

Das Ganze dauert dann 20 Minuten. Irgendwie hab ich keinen QR Code bekommen, den die Apotheke aber braucht. Sie müssen also erst noch bei eSmile anrufen, alles abklären, erreichen nicht sofort jemand....und so weiter. Es dauert halt...doch am Ende bekomme ich Ibu 600 und Antibiotika, zahle total 23 Euro und stehe wieder vor der Tür. 16 Uhr...fast dunkel. Sieht schön aus hier mit Dunkelheit und Weihnachtsbeleuchtung. 

Jetzt aber zurück zum Van. Wer weiss wie lange die Betäubung noch anhält und wie heftig die Schmerzen danach werden. Und wir müssen noch schauen, wo wir heute Nacht schlafen. Weit fahren will ich nicht. Ich bin im Eimer. 

Zurück bei den Jungs im Van finde ich in 5 Minuten Fahrt einen Parkplatz bei den Skisprungschanzen. Super...nix wie hin. Dunkel mittlerweile, 3 km später erreiche ich den Parkplatz, parke, mache drei Bären und lege mich erstmal kurz auf die Dinettebank. Füsse auf die Küchenzeile. Noch immer blutet die Wunde leicht, das Blut fliegt vor die Tür, irgendwann legt sich die Blutung. Und 2 h nach der OP geht auch das Taubheitsgefühl zurück. Ich werfe um 16:30 Uhr eine Ibu 600 ein. Zur Sicherheit.

Den Abend sitze ich am Rechner und schneide, esse zwei Scheiben trocknen Toast, ungetoastet mit schräge Kopf, so dass nix in die Wunde kommt. Trinke etwas Wasser dazu. Um 24 Uhr werfe ich noch eine Ibu ein. Bisher keine Schmerzen. Aber für eine ruhige Nacht wohl dennoch besser. 

Um 1 Uhr liege ich im Bett und kann nicht einschlafen. Die Bilder des heutigen Tages verfolgen mich noch, zudem spinnt mein Magen. Irgendwie vertrage ich keine Ibu. Druck und Schmerzgefühlt aus der Magengegend lassen mich nicht einschlafen. Verdammte Axt. Ich versuche es mit Wasser trinken. Liege noch lange wach, immerhin von der Wunde im Mund geht kein Schmerz aus. Irgendwann dämmere ich weg in einen unruhigen Schlaf. 

Wie es hier morgen weiter geht...keine Ahnung. Wir werden sehen was Wunde und Schmerzen machen. 

Gute nacht und viele Grüsse. 

Kai und das zahnlose Team. 

GPS Koordinaten:

morgens: siehe Blog Vortag abends

abends: 62.909482, 27.646243 

Unsere heutige Route: ca. 5 km